Pakistan bekommt eine neue Regierung. Und das ist gut so. Man muss kein Fan des Wahlsiegers Nawaz Sharif und seiner Pakistan Muslim League (PML-N) sein, um festzustellen dass die von der Pakistanischen Volkspartei (PPP) geführte Regierung abgewirtschaftet hat. Wie in jedem anderen demokratischen Land wird eine Regierung abgestraft, die auf die größten Probleme des Landes keine Antwort hat und diese in ihrer Regierungszeit noch verschärft hat. Die Menschen haben genug von der massiven Wirtschafts- und Energiekrise, von Korruption und Gewalt in weiten Teilen des Landes.
Wahrscheinlich ist Nawaz Sharif, der schon zwei Mal mit durchmischtem Erfolg Premierminister gewesen ist, sogar der richtige Mann, um der Wirtschaft des Landes neues Leben einzuhauchen. Auch wenn heute noch nicht klar ist, wer sein Koalitionspartner sein wird. Als bekanntestes Mitglied einer Industriellenfamilie aus dem Punjab hat Sharif seinen Finger am Puls der Wirtschaft. Sein Versöhnungskurs gegenüber Indien, der vor allem auf eine Intensivierung der Handelsbeziehungen setzt, könnte frisches Geld in die Kassen spülen und Arbeitsplätze schaffen.
Doch wenn Demokratie vor allem darin besteht – wie der Philosoph Karl Popper es formuliert hat – eine Regierung gewaltfrei abzulösen, dann hat Pakistan nach den Parlamentswahlen noch einen weiten Weg vor sich. Der schnell ausgerufene "Triumph der Demokratie", nachdem zum ersten Mal in der Geschichte des Landes eine Regierung auf demokratischem Wege abgelöst wird, ist bestenfalls ein Etappensieg. Zwar ist es den Wählern gelungen, die unpopuläre Regierung von Präsident Asif Ali Zardari aus dem Amt zu jagen. Doch von Gewaltfreiheit konnte in diesem Wahlprozess keine Rede sein.
Burgfrieden mit den Taliban
Sharifs Ruf nach Verhandlungen mit den Taliban zieht unweigerlich die Frage nach sich, was er diesen anzubieten bereit ist. Der Burgfrieden jedenfalls, den die PML-N als Regierungspartei in der größten Provinz Punjab mit den Taliban und anderen militanten Gruppen hält, taugt kaum für das ganze Land. Als Regierungschef kann er sich nicht mehr nach dem Sankt-Florians-Prinzip damit zufrieden geben, wenn die Anschläge in einer anderen Provinz stattfinden.
Dieselbe Frage gilt auch für den zweiten Wahlsieger, der hinter seinen eigenen, hochgesteckten Erwartungen zurückgeblieben ist: die Partei des ehemaligen Kricket-Stars Imran Khan, Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) geht zwar als zweitstärkste Partei aus der Wahl hervor. Doch der Ego-starke Khan wird eher die Opposition wählen, denn als Juniorpartner in eine Regierung Sharif einzutreten.
Allerdings wird auch er sich mit seinem Verhältnis zu den Taliban auseinandersetzen müssen. Denn mit seinem Wahlsieg in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) an der Grenze zu Afghanistan muss Khan auch mit mehreren religiösen Parteien in einer Koalition die Regierung stellen. Die bis dahin amtierende Regierungspartei Awami National Party (ANP) hat durch Angriffe der Taliban in diesem Wahlkampf nach eigenen Angaben 46 Wahlkämpfer, Freunde und sogar Kinder verloren. Hunderte weitere wurden verletzt.
Und Khan ist nicht nur mit dem Ruf nach einem "Naya Pakistan", einem neuen, korruptionsfreien Pakistan in den Wahlkampf gezogen, sondern auch mit der expliziten Botschaft, sich mit den radikal-islamischen Taliban aussöhnen zu wollen. Ob die Gotteskrieger auf beiden Seiten der Grenze an den Schalmeien-Klängen des ehemaligen Playboys überhaupt interessiert sind, wird sich spätestens Ende 2014 zeigen, wenn die Nato aus Afghanistan abzieht. Bis dahin wird Khan die Nagelprobe auf seine Versprechen vermutlich schuldig bleiben und in der Opposition sein Profil als Saubermann und wiedergeborener Muslim zu schärfen versuchen.
PPP steht vor Neuanfang
Für die religiösen Parteien, die Splittergruppen bleiben, sind dies schlechte Nachrichten. Denn je stärker die etablierten Parteien die religiösen Gefühle der Menschen in ihr Kalkül einbeziehen und bedienen, umso weniger Grund gibt es, diese zu wählen. Wenn Pakistan am Samstag nach rechts gerückt ist und religiöser wird, dann sind sie der zweite Verlierer dieser Wahl.
Der größte Verlierer ist die PPP, die weitgehend auf ihre Stammwählerschaft im Sindh reduziert wurde und die sich in den kommenden Jahren ganz neu erfinden muss, wenn sie im ganzen Land relevant bleiben will. Es reicht eben nicht, mit dem Witwer der ermordeten Premierministerin Benazir Bhutto einen ausgefuchsten Taktiker an der Spitze zu haben und zu behaupten, man setze sich für die Armen ein. Asif Ali Zardari konnte offenbar noch nicht einmal seinen eigenen Sohn Bilawal überzeugen; dieser setzte sich vor der Wahl nach Dubai ab.
In einem Land mit einer aufstrebenden Mittelklasse zählen nicht mehr nur feudale Abhängigkeitsverhältnisse, sondern auch Inhalte und die Ökonomie – Dummkopf! Damit zumindest wäre Pakistan am Wochenende ein bisschen "normaler" geworden.
Britta Petersen ist Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Islamabad, Pakistan.
Der Artikel erschien am 12. Mai 2013 auf Zeit online.